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Verwaltungsgericht stärkt Schutz der Grundrechtsbetätigung gegenüber vorbeugender polizeilicher Gefahrenabwehr

Bereithalten einer ausgefahrenen Beobachtungskamera ohne konkreten Anlass verletzt die Versammlungsfreiheit


Am 21.01.2012 fand in Bückeburg eine Versammlung mit ca. 500 Teilnehmern zum Thema „Farbe bekennen - Für Demokratie und Vielfalt " statt, die im Internet auch unter der Überschrift „Same Shit. Different year - kein Rückzugsraum für Nazis" beworben wurde. Die Teilnehmer zogen auf einer festgelegten Route durch Bückeburg und hielten auf dem Rathausplatz eine Zwischenkundgebung ab.

Nach der Lagebeurteilung der Polizei im Vorfeld konnte ein unfriedlicher Verlauf der Versammlung angesichts einer hohen Konfliktbereitschaft gerade von in Bückeburg ansässigen Angehörigen der rechten bzw. linken Szene nicht ausgeschlossen werden. Die Polizeidirektion Göttingen setzte im Rahmen ihres begleitenden Einsatzes unter anderem ein Fahrzeug des Beweis- und Dokumentationstrupps ein, das in der Nähe der Einmündung einer auf den Rathausplatz führenden Straße abgestellt war. Dieses Fahrzeug verfügt über eine sog. Mastkamera, die durch eine Öffnung im Dach des Fahrzeugs bis auf rund 4 Meter ausgefahren werden kann. Das dauert knapp 40 Sekunden. Während der Versammlung war der Mast mit der Kamera auf ca. die Hälfte der maximalen Höhe ausgefahren. Nach Angaben der Polizeidirektion war die Kamera aber nicht im Einsatz. Die Versammlung verlief friedlich.

Der Kläger fühlte sich auf Grund der Einsatzmodalitäten des Beobachtungsfahrzeuges in seiner Versammlungsfreiheit verletzt. Dieser Wertung schloss sich die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover mit Urteil vom heutigen Tage an: Das Grundrecht umfasse auch die sog. „innere“ Versammlungsfreiheit von (potenziellen) Teilnehmern. Diese werde schon dann berührt, wenn bei den (potenziellen) Teilnehmern der Eindruck entstehen könne oder müsse, dass die Polizei von dem Versammlungsgeschehen Bild- und/oder Tonaufnahmen anfertige oder übertrage. Dabei komme es für die Grundrechtsbetroffenheit nicht entscheidend darauf an, ob das tatsächlich der Fall sei, denn ein Versammlungsteilnehmer, zumal wenn er sich in einiger Entfernung vom Beobachtungswagen befinde, könne von außen nicht hinreichend sicher beurteilen, ob die Kamera tatsächlich laufe oder nicht. Eine Beobachtungskamera in der geschehenen Weise für einen Einsatz bereit zu halten, sei als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr auf der Basis des § 12 Nds. Versammlungsgesetzes nur dann erforderlich und damit gerechtfertigt, wenn nach den konkreten Umständen ein unfriedlicher Verlauf des Versammlungsgeschehens unmittelbar bevor stehe. Das sei bei der betroffenen Versammlung unstreitig nicht der Fall gewesen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit müsse die Polizei grundsätzlich die geringe Verzögerung, die eine Herstellung der Einsatzbereitschaft einer zunächst komplett eingefahrenen Kamera mit sich bringe, hinnehmen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die Kammer die Berufung zum Nds. Oberverwaltungsgericht zugelassen.

Az 10 A 226/13

Ansprechpartner: RiVG Burkhard Lange

Artikel-Informationen

erstellt am:
14.07.2014

Ansprechpartner/in:
Burkhard Lange

Verwaltungsgericht Hannover
Leonhardtstraße 15
30175 Hannover
Tel: 0511 89750352
Fax: 0511 89750400

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