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Mündliche Verhandlung im Streit um finanzielle Leistungen an Schulträger für inklusive Schulen

1. Kammer legt Gesetz über finanzielle Leistungen des Landes wegen der Einführung der inklusiven Schule dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof vor


Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover hält § 1 des Gesetzes über finanzielle Leistungen des Landes wegen der Einführung der inklusiven Schule (InklSchulFinG) wegen Nichtberücksichtigung des Sekundarbereichs II für unvereinbar mit dem Konnexitätsgebot aus Art. 57 Abs. 4 der Niedersächsischen Verfassung und legt die Regelung deshalb im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle dem Niedersächsischen Staatsgerichtshof vor.

Die klagende Region Hannover ist Trägerin von mehreren berufsbildenden Schulen sowie des Abendgymnasiums Hannover und des Hannover-Kollegs und damit mit Ausnahme von Förderschulen ausschließlich Schulträgerin im Sekundarbereich II. Bei der Verteilung der Sachkostenpauschale für Schulträger nach § 1 InklSchulFinG erhielt sie bislang keine finanziellen Ausgleichsleistungen des Landes. Nach Auffassung der Kammer wurde durch das Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule aus 2012 auch der Klägerin die Aufgabe der inklusiven Beschulung übertragen, was erhebliche Kosten zur Folge hatte. Der Auffassung des beklagten Landesamtes für Statistik, dass sich für die Klägerin durch die Einführung der inklusiven Schule rechtlich nichts verändert habe, weil Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich II schon vor der Rechtsänderung allgemeine – den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention genügende – inklusive Schulen hätten besuchen müssen, ist die Kammer nicht gefolgt. Die UN-Behindertenrechtskonvention konnte aufgrund der Kultushoheit der Länder und der damit verbundenen Gesetzgebungskompetenz nicht bereits vor der Umsetzung durch den Landesgesetzgeber Geltung für die Schulträger beanspruchen. Das Argument, dass Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf auch schon vor 2012 einen Anspruch auf Aufnahme in Schulen des Sekundarbereichs II gehabt hätten, lässt außer Acht, dass es einen Unterschied macht, ob ein Schüler einen Aufnahmeanspruch hat, nicht abgewiesen werden darf und sich gegebenenfalls mit dem vorgefundenen räumlichen und sächlichen Standard zufriedengeben muss, der sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 NSchG ohne flankierendes Inklusionsgebot ergab, oder ob der Schüler eine Schule vorfindet, die hinsichtlich der Ausstattung dem 2012 normierten Inklusionsgebot aus § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 108 Abs. 1 Satz 1 NSchG von vornherein genügt. So mag etwa ein sehbehinderter Schüler bereits vor 2012 einen Anspruch auf Aufnahme in eine berufsbildende Schule der Klägerin gehabt haben, anstatt an ein Landesbildungszentrum "vermittelt" zu werden. Es macht aber einen Unterschied, ob ein Schüler nur unter Inanspruchnahme eines Integrationshelfers überhaupt in seinen Unterrichtsraum gelangen kann, oder ob er sich durch ein vorhandenes taktiles Leitsystem für Sehbehinderte selbst im Schulgebäude zurechtfinden und sich dort selbstständig – "barrierefrei und gleichberechtigt" – bewegen kann. Inklusion geht weiter als bloße Integration. Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass die für einen "barrierefreien und gleichberechtigten" Zugang aufzuwendenden Kosten auch im Sekundarbereich II erheblich sind. Die Klägerin hat indessen bislang überhaupt keinen Sachkostenausgleich erhalten.

Die Kammer kann das beklagte Landesamt nicht zur Gewährung von Ausgleichsleistungen verpflichten, da der Ausgleich "durch Gesetz" zu erfolgen hat. Auch die Feststellung, dass § 1 InkSchulFinG nicht dem Konnexitätsgebot genügt und daher verfassungswidrig ist, kann die Kammer nicht unmittelbar selbst treffen, denn nach Art. 54 Nr. 4 NV i. V. m. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist eine solche Entscheidung dem Staatsgerichtshof vorbehalten. Deshalb hat die 1. Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 30. Oktober 2024 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die verfassungsrechtliche Frage dem Staatsgerichtshof vorzulegen.

Az.: 1 A 4916/22

Artikel-Informationen

erstellt am:
30.10.2024

Ansprechpartner/in:
Dr. Nassim Eslami als Pressesprecherin

Verwaltungsgericht Hannover
Pressesprecherin
Leonhardtstraße 15
30175 Hannover
Tel: 0511 89750-359

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