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Antragsteller darf nicht zur medizinischen Weiterbehandlung in die Bundesrepublik einreisen

Erfolgsaussichten der Klage gegen Ausweisungsentscheidung der Landeshauptstadt Hannover können von der 19. Kammer im Rahmen des Eilverfahrens nicht abschließend beurteilt werden


Die Antragsteller – ein montenegrinisches Ehepaar – begehren die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die beiden Bescheide, mit denen die Landeshauptstadt Hannover (LHH) sie ausgewiesen und ein fünfjähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot gegen sie verhängt hat.

Nachdem am 28.01.2020 auf den Antragsteller zu 1) in Montenegro mehrfach geschossen wurde, erfolgte die medizinische Erstversorgung der neun Schussverletzungen in einem montenegrinischen Krankenhaus. Die Antragsteller reisten Anfang Februar in die Bundesrepublik Deutschland zwecks Weiterbehandlung ein. Nachdem die Polizeidirektion Hannover Kenntnis von der Einreise der Antragsteller erhielt, ergriff sie weitreichende Schutzmaßnahmen und bewachte sowohl den Antragsteller zu 1) im Krankenhaus als auch die Antragstellerin zu 2) in ihrem Hotel. Die ergriffenen Maßnahmen stützte die Polizeidirektion auf Gefährdungsanalysen.

Die LHH wies den Antragsteller zu 1) mit Bescheid vom 19.02.2020 und die Antragstellerin zu 2) mit Bescheid vom 20.02.2020 aus und ordnete gleichzeitig gegen sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot an, welches sie jeweils auf fünf Jahre befristete. Die LHH geht aufgrund der aus den Gefährdungsanalysen gewonnenen Informationen davon aus, dass der Antragsteller zu 1) einem kriminellen montenegrinischen Clan angehört, welcher seit Jahren europaweit einen gewaltsamen Konflikt mit einem konkurrierenden montenegrinischen Clan austrägt. Durch den Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik sei nicht nur zu befürchten, dass sich dieser Konflikt in die Bundesrepublik verlagern, sondern dass ihm auch unbeteiligte Dritte zum Opfer fallen könnten. Am 21.02.2020 verließen die Antragsteller die Bundesrepublik in Richtung Istanbul, wo die medizinische Versorgung des Antragstellers zu 1) fortgesetzt wurde.

Mit ihren Eilanträgen machen die Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass die Annahme der LHH, sie seien in einen Clan-Konflikt verwickelt, unzutreffend sei und rügen die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Es liege eine Verwechslung vor. Der Antragsteller zu 1) gehöre keinem Clan an. Er habe weder in Montenegro noch in Deutschland Eintragungen in seinem Strafregister. Sowohl der Antragsteller zu 1) als auch die Antragstellerin zu 2) seien in exponierten Stellungen in einem international agierenden montenegrinischen Unternehmen tätig. Bereits ihre jeweilige berufliche Tätigkeit erfordere die Möglichkeit, in den Schengenraum einreisen zu können. Insbesondere sei es aber für den Antragsteller zu 1) erforderlich, schnellstmöglich zur medizinischen Weiterbehandlung in die Bundesrepublik einreisen zu dürfen.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 01.07.2020 den Eilantrag des Antragstellers zu 1) abgelehnt und dem Antrag der Antragstellerin zu 2) weitgehend stattgegeben.

Hinsichtlich des Antragstellers zu 1) hat die Kammer ihre Entscheidung damit begründet, dass im Rahmen der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund der bislang nicht ausermittelten Tatsachengrundlage nicht abschließend beurteilt werden könne, ob hinreichend belastbare Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass es sich bei dem Antragsteller zu 1) um ein Mitglied eines kriminellen Clans handele. Auch könne derzeit nicht sicher bewertet werden, ob ihn Mitglieder eines montenegrinischen Clans (irrig) für ein Mitglied eines rivalisierenden Clans hielten. Deswegen könne auch nicht eingeschätzt werden, ob durch seinen Aufenthalt eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit vorliege. Die weiteren Ermittlungen seien dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die bei den offenen Erfolgsaussichten der Klage im Eilverfahren vorzunehmende Interessenabwägung fiele zulasten des Antragstellers zu 1) aus. Das öffentliche Interesse daran, den Antragsteller aus der Bundesrepublik fernzuhalten, überwiege gegenüber seinem privaten Interesse an einer Einreisemöglichkeit.

Bei der Abwägung hat die Kammer zunächst berücksichtigt, dass mit der Gefährdung von Leib und Leben unbeteiligter Personen, die bei der Austragung eines gewaltsamen Clan-Konfliktes zu Schaden kommen könnten, sehr hochrangige Rechtsgüter betroffen seien. Demgegenüber stehe das private Interesse des Antragstellers zu 1), sich in der Bundesrepublik weiter medizinisch behandeln zu lassen und sich zur wirtschaftlichen Betätigung frei im Schengenraum bewegen zu können. Der Antragsteller zu 1) habe diesbezüglich bislang weder substantiiert darlegen können, dass eine Weiterbehandlungsmöglichkeit in der Bundesrepublik tatsächlich bestehe, noch dass aus beruflichen Gründen ein Reisen im Schengenraum für ihn erforderlich sei.

Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) hat die Kammer ihre stattgebende Entscheidung damit begründet, dass ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen dürfte. Anhaltspunkte dafür, dass sie selbst Mitglied eines montenegrinischen Clans sein könnte, lägen nicht vor. Den Gefährdungsanalysen ließe sich zudem entnehmen, dass Familienangehörige im Rahmen der Clan-Fehde grundsätzlich nicht das Ziel von Anschlägen gewesen seien. Deswegen sei davon auszugehen, dass selbst wenn es sich bei dem Ehemann der Antragstellerin zu 2) um ein Clan-Mitglied handeln sollte, für sie keine Gefahr bestehe, Opfer eines Anschlages zu werden.

Den Beteiligten steht das Rechtsmittel der Beschwerde zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zu.

Az.: 19 B 2910/20



Artikel-Informationen

erstellt am:
01.07.2020
zuletzt aktualisiert am:
02.07.2020

Ansprechpartner/in:
Katrin Angerstein als Pressesprecherin

Verwaltungsgericht Hannover
Pressesprecherin
Leonhardtstraße 15
30175 Hannover
Tel: 0511 89750-379

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