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Gerichtliche Bewertung der drohenden Verfolgung wegen "Verwestlichung" und der abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan

19. Kammer stellt die obergerichtliche Rechtsprechung auf den Prüfstand


Der Kläger des am Donnerstag, 09.07.2020, von der 19. Kammer des Gerichts mündlich verhandelten Verfahrens ist ein im Jahr 2000 geborener afghanischer Staatsangehöriger, der Afghanistan bereits als Kind verlassen hatte. Seinerzeit war seine Familie wegen Gefechten in ihrer Heimatprovinz in den Iran ausgewandert. Im Jahr 2016 reiste der Kläger mit zwei Geschwistern in die Bundesrepublik ein und stellte durch seinen Amtsvormund einen Asylantrag. Gegen den ablehnenden Bescheid hat der Kläger im Oktober 2017 Klage erhoben. Als Rückkehrer aus Europa werde er als „verwestlichte Person“ stigmatisiert. Ihm drohe deshalb sozialer Ausschluss und Verfolgung durch extremistische Gruppierungen. Zudem treffe ihn ein erhöhtes Entführungsrisiko, weil Rückkehrern aus Europa unterstellt werde, an Geld gekommen zu sein und Unterstützungsnetzwerke zu haben. Jedenfalls bestehe ein Abschiebungsverbot, weil er im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan aufgrund der dortigen Versorgungs- und Sicherheitslage mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald verhungern würde oder ähnlichen existenzbedrohenden Gefahren ausgesetzt wäre.

Bislang geht die Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan nur in ganz besonderen Ausnahmefällen wegen der dortigen schlechten humanitären Verhältnisse gegen Art. 3 EMRK verstößt, die für einen alleinstehenden, gesunden und arbeitsfähigen jungen Mann auch dann nicht generell gegeben sind, wenn er im Iran aufgewachsen ist (sog. "faktischer Iraner") und deshalb nicht über ein soziales Netzwerk in Afghanistan verfügt und er zudem weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch nennenswertes Vermögen besitzt (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 29.01.2019– 9 LB 93/18 –, www.rechtsprechung.niedersachsen.de). Diese Annahme wird die Kammer – neben der Frage des Verfolgungsrisikos für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland – angesichts der Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit zu überprüfen haben.

Die mündliche Verhandlung war ursprünglich bereits am 18.03.2020 vorgesehen und ist infolge der COVID-19-Pandemie auf den neuen Termin verlegt worden.


Az. 19 A 11909/17

Termin: 09.07.2020, 9.00 Uhr in Saal 04

Artikel-Informationen

erstellt am:
06.07.2020

Ansprechpartner/in:
Katrin Angerstein als Pressesprecherin

Verwaltungsgericht Hannover
Pressesprecherin
Leonhardtstraße 15
30175 Hannover
Tel: 0511 89750-379

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